
Beerdigungsbräuche im Wendland um 1850
13.11.2018 · Sorge und Angst vor dem Tod sind ständige Begleiter im Leben, so war es schon in früheren Zeiten im Wendland. Sagenexpertin und Stadtarchivarin Undine Stiwich erzählt von Beerdingungsbräuchen um 1850.
Autorin: Undine Stiwich, Sagenexpertin, Stadtarchivarin und Museumsleiterin des Amtsturms Lüchow
Der Tod ist den Lebenden immer gegenwärtig, so ist es heute und war es auch im 19. Jahrhundert. Wichtig war es für den Menschen vor 1900, auf gewisse Vorboten des Todes zu achten, Zeichen und Erscheinungen, die man zu deuten und zu verhindern versuchte. Die Vorboten des Todes erscheinen im häuslichen oder angrenzenden Bereich. Also auch am Hof oder im Garten. Da gibt es einige Beispiele:
- Fällt ein Bild ohne ersichtlichen Grund von der Wand, bedeutet es, jemandes Gegenwart wird jäh unterbrochen.
- Die Uhr bleibt plötzlich stehen, die Lebensuhr läuft ab.
- Stellt man eine angezündete Kerze auf den Boden, das Lebenslicht geht zu Ende.
- Eine grüne Pflanze, hauptsächlich der Lebensbaum, zeigt ein weißes Blatt, der Tod ist nicht mehr weit. Weiß war die ursprüngliche Trauerfarbe.
- Ein Hund heult mit gesenktem Kopf, bedeutet der Herr im Hause stirbt.
- Ein Hund gräbt am Haus ein Loch, auf dem Hof oder im Haus wird jemand sterben.
- Auch der Maulwurf steht im Ruf, den Tod anzukündigen. Gräbt er nahe am Hause, so wird ein neuer Grabhügel bald zu sehen sein.
- Die Eule ruft des nachts am Haus ihr schauriges „Kumm mit“, so wird bald ein Sterbefall anliegen.
- Klingt nachts ein Hämmern und Sägen durchs Dorf, ist der Tod nicht weit, diese Geräusche bedeuten das Anfertigen eines Sarges.
- Klopft es nachts dreimal an das Fenster, so liegt ein naher Verwandter im Sterben. In diesen Fällen weiß man im Volksmund „in Vorrut“ zu sehen, wenn man die Vorboten des Todes erkennt.
Das zweite Gesicht
In fast allen Dörfern gab oder gibt es zum Teil noch Menschen, die den Tod voraussehen können. Sie sind mit dem „Zweiten Gesicht“ behaftet, denn sie sind in der Christnacht um Mitternacht geboren. Auch Sonntagskindern könnten das Verrutsehen angeboren sein. Schon bei der Geburt eines Kindes versuchte man die Totengeister zu beruhigen. Die Nachgeburt mußte als Opfer gegeben werden. Entweder hinterlegte man sie in eine Schublade und durfte sie niemals mehr berühren, oder man vergrub sie in der Erde als Opfer. Auch legte man sie heimlich hinter den Altar in der Kirche. So behütet Gott das Kind und es wird niemals im Kindesalter sterben. War ein Kind in der Familie schon gestorben, gab man dem Zweitgeborenen den Beinamen Erdmann oder Erdine. So können die Totengeister beruhigt werden und das Kind wird leben.
Totentuch und Sarg
Bei Lebzeiten war es üblich schon die „Notbräe“ bereitzustellen. Es sind die Eichenbretter, die für die Anfertigung des Sarges gebraucht werden. In einigen Gebieten des Wendlandes wurde der Sarg im voraus gefertigt. Er diente dann bis zum Eintreten des Todes für Getreide o. ä. Ältere Menschen legten schon ihr „Todentüch“ zurecht, meist in einem Schrank oder einer Kommode in die unterste Schublade. Vielfach war es ein Sonntagsanzug oder ein gutes Kleid, welche die Hinterbliebenen dem Toten anziehen sollten. Wurde dieser Wunsch nicht erfüllt, konnte es passieren, dass der Tote keine Ruhe fand und als Wiedergänger umherging. Erst dann, wenn das „Todentüch“ im Grabe beigesetzt wurde, fand die Seele Ruhe.
Lebte ein alter Mensch auf dem Hof, musste damit gerechnet werden, dass er bald starb, also wurde ein Schwein stehengelassen, um dann die Beerdigungsgesellschaft auch gebührend bewirten zu können. Wenn der Tod eingetreten war, wurden zuerst alle Spiegel im Haus verhängt, dann die Uhren angehalten, alle Hausbewohner wurden geweckt und der Todesfall wurde allen Tieren des Hofes mitgeteilt. Wenn der Hausherr verstorben war, wurde die Saat berührt. Hatte man das erledigt, musste die Leichenwäscherin geholt werden. Bei der Leichenwaschung war sie allein. Das „Todentüch“ lag schon bereit. Der oder die Tote wurde in den Sarg gelegt. Auf der großen Diele wurden Böcke aufgestellt, auf denen der Tote im Sarg aufgebahrt wurde. Kerzen wurden angezündet, das Licht vertreibt die Dämonen. Behälter mit Wasser wurden aufgestellt, Wasser wehrt den Spuk ab und eine Schüssel mit Hafergrütze sollte dem Toten Speise geben. Doch eigentlich sollte es nur die Mäuse abwehren, sich an der Leiche zu laben.
Totenwache
Die Familie hielt am offenen Sarg die Totenwache. Die Dorfbewohner verabschiedeten sich am Sarg von dem Toten. Wenn jemand an einer Krankheit litt, berührte man mit einem Tuch die kranke Stelle und gab dieses Tuch dann mit in den Sarg. So wird die Krankheit vergehen, wie der Tote vergeht. Es konnte natürlich geschehen, dass die Leichenwäscherin ungewöhnliches am Toten entdeckte. Die Haut des Toten war nicht bleich, sondern rosig und die Lippen rot. Dazu erzählt man sich die „Die Geschichte von der Leichenwäscherin zu Karmitz“:
Am Tag der Beerdigung, wurde der Sarg von den Böcken gehoben, wichtig war, dass dann die Böcke umgestoßen wurden, sonst starb noch jemand aus der Familie. Die Schwelle der großen Diele wurde angehoben, der Sarg schnell unter durch getragen und die Schwelle wieder fest herunter gelassen. Danach mussten die Schwelle und das große Tor mit Wasser besprengt werden, damit die Seele nicht zurückkehren konnte. Wasser ist abwehrend, die Seele verliert die Orientierung. So eine Beerdigung habe ich noch erlebt. Genauso versuchte der Beerdigungszug Wasser zu überqueren, sei es ein Bach oder ein Fluss, damit die Seele den Weg nicht mehr zurück finden konnte.
Totenweg
Es gibt eine Aufzeichnung vom Meuchefitzer Totenweg. Auf dem Weg zum Friedhof wurde genau beobachtet, wo hielt der Zug an, dort war der nächste Tote. Fällt ein Kranz vom Wagen, es stirbt wieder jemand aus der Gemeinde. Wer ergreift zuerst den Spaten, der wird der nächste sein. Da der Pastor davor gefeit war, nahm er und nimmt er auch noch heute, als erster den Spaten. In welche Richtung zeigt die zuletzt geworfene Schaufel Erde, auch der ist der nächste. Vom Friedhof zurück gab es, wie auch meist heute noch, den Leichenschmaus. Nach dem Essen wurde gespielt und getanzt. Zuerst tanzte man Toten- oder Weihetänze, doch im Laufe des Tages wurden die Tänze lustiger und oft feierte man den Leichenschmaus bis früh in den Morgen hinein. Anekdoten wurden erzählt, es wurde gelacht und getrunken.
Vivat in Düstern
Ein makabres Spiel wurde von den jungen Leuten im Anbruch der Dämmerung gespielt: „Vivat in Düstern“. Dazu mussten auf der großen Diele Gegenstände mit symbolischer Bedeutung versteckt werden. Fand einer der Spieler oder Spielerinnen eine Puppe, so bedeutete das ein uneheliches Kind, der Myrthenkranz – eine Hochzeit, die Gänsefeder – alles gelingt, was geschrieben steht, eine Tierfigur – gut zu Tieren, ein Säckchen mit Geld – Reichtum und ein Erdhügel bringt den Tod.
Als ich ca. 7 Jahre alt war, habe ich dieses Spiel mitgespielt und hatte große Furcht, in den Erdhügel zu greifen. Einer der jungen Männer fand den Erdhügel. Kurz danach starb er bei einem Unfall. Eine Cousine von mir fand den Myrthenkranz und heiratete in dem Jahr. Was ich gefunden habe, ich glaube es war eine Feder oder eine Tierfigur. Ich weiß es gar nicht mehr so genau, ich weiß nur, dass der Erdhügel es nicht war. Was ist von den alten Bräuchen übrig geblieben?
Toten- und Weihetänze
Der Begriff „Totentanz” wird als Synonym für Epedimien, Katastrophen und Krieg angewendet. Totentanzdarstellungen gehen zurück bis ins 13. Jh. Zunächst wurden Tänze nur an Mauern von Friedhöfen und Kirchen dargestellt. Der Totentanz hatte im Mittelalter einen starken Bezug zum Leben. Aus Frankreich stammen aus dem 15. Jh. Überlieferungen von Totentänzen.
Den Kern des Totentanzes bilden einzelne Tanzpaare. In vielen Ländern tanzt der Tod oft skelitiert oder im schwarzen Gewand. Oft wurden Kaiser, Papst oder Arzt in den Tänzen angesprochen oder dargestellt. Die Figuren tanzen gemeinsam mit der Todesfigur. Auch stellte man den Toten als Tänzer dar. Bei Hohlbein werden Tanzfiguren wie „Der Tod und das Mädchen”, der Tod und der Künstler“ dargestellt. Im Wendland zeigt die Darstellung des Todesgötzen in vorchristlicher Zeit um 1130 ein Gerippe mit einem Löwen auf der Schulter, der seine Maul weit aufreißt. (aus der Geschichte Salzwedels von August Wilhelm Pohlmann 1810)
Der wendländische Tanz greift unterschiedliche Aspekte auf. Es sind Kreismotive und auch Reihentänze, die an feierlichen Anlässen getanzt wurden. Bei den mitteldeutschen Forschungen von Joachim Schwebe beschreibt er, dass auf Beerdigungen gespielt und getanzt wurde. Er gibt an, dass hauptsächlich Kinder getanzt haben sollen. Doch ist es immer eine Frage, welche Zeitzeugen wurden befragt, welche Aussagen sind zutreffend? Und welches Alter waren Kinder? Sicher ging das Alter bis hin zur Konfirmation, d. h. sie waren bis ca. 13 Jahre alt.
Durch Überlieferung ist mir bekannt, dass Jungfrauen und Jungmänner auf Beerdigungen spielten und tanzten. Sehr alt ist der Tanz mit dem Laken. Der Tote wurde in Leinentücher gewickelt. Jungfrauen weihten das Tuch. Der nächste Tanz ist die Ehrerbietung an den Toten. Bei diesem Reihentanz ist die Musik nicht überliefert, viel mehr habe ich sie nicht mehr im Ohr. Bekannt ist mir nur noch die Tanzfolge.
Quellen
Meine Berichte und Erzählungen beruhen vielfach auf mündlichen Überlieferungen. Gleichzeitig habe ich zur Ausarbeitung Volksbrauch und Volksglaube des Hannoverschen Wendlands von Schwebe und das Hannoversche Wendland von Hennings, Tetzner – Die Slawen in Deutschland, Vieth – Wendischer Aberglaube und natürlich Muka – die Lüneburger Wenden – zu Rate gezogen.
Das mit der Totenwache habe ich letztens auf einer Beerdigung selbst mitbekommen. Allerdings finde ich auch den Brauch mit dem Tuch im Zusammenhang mit einer Krankheit schön. Es war sehr interessant, über all diese Bestattungsgegebenheiten von damals zu erfahren.
Hallo Undine, vielen Dank für den Beitrag zu Bestattungen im Wendland um 1850. Wenn man sich näher mit dem Thema beschäftigt, gibt es so viele Bräuche, die man nicht kennt, die allerdings so interessant sind. Ich wusste zum Beispiel gar nicht, dass das zweitgeborene in der Familie, falls das erste Kind gestorben ist, den Beinamen Erdmann oder Erdine erhalten hat. Wenn man sich erkundigt, findet man so viel heraus!
Interessant zu wissen, dass die Menschen vor 1900 auf Vorboten des Todes achteten. Mein Onkel arbeitet in einem Bestattungsunternehmen seit vielen Jahren. Er hatte immer ein Interesse am Tod und an den Vorstellungen über den Tod laut den unterschiedlichen Glaubensrichtungen.
Meine Schwester arbeitet in einem Bestattungsunternehmen und wir haben uns letztens über alte Bräuche bei der Beerdigung unterhalten. Ich finde, dass ist ein wirklich sehr interessantes Thema, worüber ich mir bisher noch keine Gedanken gemacht habe. sehr spannend finde ich die Totenwache, mir war der Brauch für kranke Menschen gar nicht bewusst, dass sie sozusagen ihre Krankheit mit in den Sarg gelegt haben. Es gibt wirklich viele interessante Bräuche.
Danke für diesen Artikel zum Thema Beerdigung in Wendland. Ich finde diese Traditionen sehr interesserant!