
Sitten und Bräuche zur Geburt und Taufe im Wendland
13.11.2018 · Der wendländische Volksglaube schrieb werdenden Müttern in der Schwangerschaft ein "richtiges" Verhalten vor. Sagenexpertin und Stadtarchivarin Undine Stiwich berichtet ebenso über Geburt und Taufe.
Autorin: Undine Stiwich, Sagenexpertin, Stadtarchivarin und Museumsleiterin des Amtsturms Lüchow
Schwangerschaft und Geburt
Eine Schwangere hatte sich nach bestimmten Regeln zu richten, sonst bestand die Gefahr, dass sich das Neugeborene nicht normal geistig wie auch körperlich entwickelte. Zwischen Schwangerschaft, Geburt und Taufe konzentrieren sich zahlreiche Riten, vorwiegend auf Analogievorstellungen beruhend, sollen sie bewirken, dass das Neugeborene nur zur guten Seite hin beeinflusst wird. Im Volksglauben ist es wichtig, bestimmte Handlungen zu unterlassen. So sollte eine Schwangere niemals durch ein Schlüsselloch sehen, sonst wurde das Kind schielen.
Beim Schlachten war es die Aufgabe der Frauen, das Blut zu rühren. Dieses musste sie unterlassen, sonst bekäme das Kind rote Augen. Wenn eine Schwangere auf ihren Zustand angesprochen wurde, durfte sie diesen niemals verleugnen, sonst bliebe das Kind stumm. Beim Kochen sollte sie vermeiden, dass Suppe oder Soße spritzte, sonst bekäme das Kind hässliche Male. Zu vermeiden war auch das Mohrrübenputzen, das Kind würde unter Sommersprossen leiden. Aß die werdende Mutter zweidottige Eier kämen Zwillinge zur Welt. Das Scheuern der Küche müsste sie anderen überlassen, das Kind würde sonst schmierig werden. Um bei dem Kind eine Engbrüstigkeit zu vermeiden, durfte die Schwangere niemals aus einer Flasche trinken. Niemals sollte sie bei schlechtem Geruch die Nase zuhalten, sonst riecht das Kind aus dem Mund.
Unglück abwenden
Im Volksglauben nahm man an, dass ein Kind im Mutterleib schon „verseien“ (d. h. versehen – verzaubert) werden kann. Um dem entgegen zu wirken, durfte eine Frau in der Schwangerschaft niemals einen „Bruker“, einen Besprecher, aufsuchen. Auch durfte sie für ein anderes Kind in der Zeit nicht Taufpatin sein. Es würde Unglück über das werdende Leben bringen. Es könnte Behinderungen jegliche Art davontragen. Wichtig war auch das erste Waschwasser des Neugeborenen. Es galt als Heilmittel. Wurden andere Kinder oder Kinder aus 1. Ehe darin gebadet, so wären sie miteinander gut verträglich. Es gäbe keinen Ärger. Die Hebamme legte ein Geldstück ins erste Waschwasser, das Resultat wäre, das Kind würde ein sparsamer, ehrlicher Mensch werden.
Nach dem Volksglauben kommt der Zeitpunkt der Geburt eine schicksalshafte Bedeutung zu. Donnerstagskinder wie auch Sonntagskinder sind mit dem „Zweiten Gesicht“ behaftet. Sie können im Voraus sehen. Auch glaubte man, dass hiervon ebenfalls die Kinder betroffen waren, die am Heiligen Abend zwischen 23 und 24 Uhr geboren wurden. Wenn diese nachts um die gleiche Zeit nach draußen gingen, könnten sie im voraus sehen, was im Dorf in nächster Zukunft geschehen würde.
Die Unerdeschen
Zwischen Geburt und Taufe glaubte man, dass das Kind den Dämonen ausgeliefert ist. Es konnte auch passieren, dass die „Unererdschen“, die unterirdischen Zwerge, das Kind fort nahmen und einen Wechselbalg zurückließen. Aus diesem Grunde ließ man an der Wiege Tag und Nacht ein Licht brennen und streute um die Wiege Buchweizengrütze. Außerdem legte man in die Wiege ein Messer oder eine Schere. Durch die Schneide wurden die „Unererdschen“ abgewehrt. Besucher näherten sich nur mit den Worten „Gott segne es“. Niemals durfte das Kind mit einem Engel verglichen werden, es galt als Frevel und würde nur Schaden anrichten.
Es liegt die Vermutung nahe, dass als Ersatz des Kindesopfers an die Totengeister die Nachgeburt vergraben werden musste, oft dort, wo weder Mond noch Sonne hineinscheinen konnte. In einigen Gebieten nahm man zum Vergraben der Nachgeburt einen Rosenstrauch oder Holunderbusch, denn dort lebten die „Unererdschen“ und sollten besänftigt werden. Auch der Nabelschnur wird eine besondere Bedeutung gegeben. Legte die Mutter diese nach der Geburt zum Trocknen in den Schrank, so verheilte die Nabelwunde gut. Legte man die Nabelschnur hinter den Altar, so wurde das Neugeborene ein gläubiger Mensch. Legte man sie zu einem geschlossenen Kreis und ließ das Kind hindurchsehen, wird es gut lernen können. Auch nahm man die getrocknete Nabelschnur und legte, wenn das Kind in die Schule ging, diese in ein Buch als Lesezeichen. Das Kind würde sehr klug werden. Waren in der Familie schon Kinder gestorben, durfte das Neugeborene niemals diese Namen erhalten, sonst brachte es Unglück und Tod. Um sicher zu gehen, dass das Kind leben werde, bekam es den Namen oder Beinamen Erdmann oder Erdine, das sollte die Sterblichkeit
Taufsitten
Den Tauftermin legte man so früh wie möglich, oft schon auf den Tag nach der Geburt. Gewisse Tage aber, wie z. B. der Sonntag und mancherorts auch der Donnerstag, mussten ausgespart werden, wenn man das Kind vor dem „Zweiten Gesicht“, der Unheilsgabe, etwas vorhersehen zu können oder zu müssen, schützen wollte. Früher war es üblich, dass die Mutter vor ihrer Aussegnung das Haus nicht verlassen und die Kirche nicht betreten durfte. Diese im altchristlichen Gedankengut ( vgl. 3. Moses, 12 ) wurzelnde Sitte, wonach die Wöchnerin durch das Gebären „unrein“ ist und am Gottesdienst nicht teilhaben darf, wird heute kaum noch angetroffen. Die Mutter darf zwar der Taufe beiwohnen, das Kind muss aber von der „Boamudda“ (Hebamme) getragen werden, die auch beauftrag war, die „Gevadder“ (die Taufpaten) zu bestimmen. Eine Taufpatenschaft durfte nicht abgelehnt werden. Vor der Taufe wurde das Kind aus dem Fenster gereicht. Einmal um das Haus getragen und dann wieder durch dasselbe Fenster hineingereicht.
Die Taufgesellschaft verließ das Haus durch die Hoftür, nicht wie bei Beerdigungen durch die Dielentür. Der älteste Pate trug das Kind aus dem Haus, damit es sehr alt werden sollte. Bei der Rückkehr aus der Kirche trug der jüngste Pate das Kind ins Haus, denn es sollte flink werden wie er. In manchen Orten trug er es als eine Art Aufnahme-Ritus beim Heimkommen einmal um den Tisch. Der Kutscher hatte an seiner Peitsche ein rosa oder blaues Band gebunden, damit auch zu erkennen war, ob eine Junge oder ein Mädchen getauft wurde.
Eine Reihe von Taufsitten erinnert an Vorstellungen eines Analogiezaubers oder zeigt uns den Glauben der Wendländer an die Übertragbarkeit von Charaktereigenschaften. So z. B., wenn der Vater oder die Gevattern am Tauftag im Hause des Täuflings mit besonderer Tüchtigkeit eine vorgeschriebene Hausarbeit verrichten mussten, oder wenn man dem Täufling, um seine künftigen Fähigkeiten in bestimmte Richtungen zu lenken, allerlei Gegenstände, wie Nähnadeln, (geschickt in der Hausarbeit) Gänsefedern (wird ein Schreiberling) oder Kornähren (wird ein Bauer) unter das Taufkissen legte. Ebenso hütete man sich, in der Zeit vor der Taufe etwas zu verborgen, damit das Kind nicht ein Verschwender würde.
Dem Taufwasser schrieb man besondere Wirkkräfte zu. Auf keinen Fall sollten Jungen und Mädchen mit dem gleichen Wasser getauft werden, damit nicht etwa die Mädchen einen Bart bekämen und ein solcher den Jungen vorenthalten würde. Es hieß auch, das Mädchen würde dann den Jungens nachlaufen. Das Taufwasser wurde aufgehoben. Es half dem Kind bei Bettnässen und bei Krämpfen. Wieder aus der Kirche heraus, lüftete die Boamudder das Kissen. Traf ein Sonnenstrahl das Gesicht, bekam das Kind eine schöne Haut und feste Haare. Auf dem Weg nach Hause wurden an die Kinder „Kindsdöpsnöät“ (ein Gebäck) verteilt, im Geburtshaus gab es „Kindsfötki“ (ein Zuckergebäck in Form eines Kinderfußes). Damit das Kind gut wuchs, hängte die Mutter das Taufkleid auf den Boden unter das Dach.
Quellen
Meine Berichte und Erzählungen beruhen vielfach auf mündlichen Überlieferungen. Gleichzeitig habe ich zur Ausarbeitung Volksbrauch und Volksglaube des Hannoverschen Wendlands von Schwebe und das Hannoversche Wendland von Hennings, Tetzner – Die Slawen in Deutschland, Vieth – Wendischer Aberglaube und natürlich Muka – die Lüneburger Wenden – zu Rate gezogen.