
Archäologie und Vampirglaube im Wendland
19.11.2018 · Der Archäologe und Ethnologe Arne Lucke berichtet über Skelettfunde auf Friedhöfen im Hannoverschen Wendland und beleuchtet die geheimnisvolle Welt des Vampirglaubens aus anthropologischer Sicht.
Interview mit Dr. Arne Lucke
Interview mit Dr. Arne Lucke, Archäologe und Ethnologe
Autorin: Antje Hinz
Arne Lucke hat viel erlebt und viel von der Welt gesehen. Als Archäologe und Ethnologe hat er zahllose Länder bereist und war an vielfältigen Grabungen beteiligt. Im Hannoverschen Wendland war er als Kreisarchäologe tätig. Dennoch zog es ihn immer wieder in die Ferne.
Kulturelle Gemeinsamkeiten
Egal mit welcher Kultur er sich beschäftigte, Lucke stellte häufig fest, dass es einen gemeinsamen Nenner gibt: Die Angst vor Untoten und vor Vampiren existiert in nahezu allen Kulturen. Diese wendländische Variante des Vampirs wird plattdeutsch „Düwwelsüger“ („Doppelsäuger“) oder „Tweisüger“ („Zweisäuger“) genannt, in der Ethnologie auch als „Wiederkehrer“ oder „Nachzehrer“ bekannt.
Überraschende Grabungsfunde
Der Vampirglaube ist wissenschaftlich auf vielfältige Weise belegt – archäologisch, ethnologisch und historisch. Durch seine vielfältigen Forschungen in verschiedenen Kulturen wird Arne Lucke über die Jahre zum „Vampir-Experten“. Bei Grabungen im Hannoverschen Wendland in Güstritz bei Lüchow stößt er in den 90er Jahren auf ein slawisches Skelett-Gräberfeld mit über 100 Grabstellen. Die Mehrheit weist eigenartige Besonderheiten auf. Der Kopf ist vom Rumpf des Leichnams getrennt. Steine beschweren das Brustskelett. Einige Tote liegen mit dem Kopf nach unten in der Grabstelle. Einige Grabstellen sind abgebrannt oder verkokelt. Lucke ist sich sicher: Die speziellen Bestattungsrituale weisen auf den im Hannoverschen Wendland verbreiteten Vampirglaube hin.
Erklärungen für den Vampirglauben
Bevor sich früher in der Bevölkerung das Wissen um Infektionskrankheiten verbreiten konnte, versuchten sich die Menschen Todesfälle in der Familie mit „untoten Wiedergängern“ zu erklären. Im Interview erläutert der Archäologe, dass auch ein Zeitenwandel Angst vor Veränderung mit sich bringen könnte. Die westslawischen Siedler, die Wenden, seien einst vom Christentum überrollt worden. Heute fürchten sich die Menschen vor Globalisierung, Klimawandel und Digitalisierung. Daher sei gerade wieder eine neue Welle des Vampir-Trends zu spüren, so Lucke.
Archäologie gestern und heute
Im Interview berichtet Lucke über die zeitgeschichtliche und experimentelle Archäologie. Historische Archäologie hat er in Rundlingsdörfern im Hannoverschen Wendland betrieben und dort in abgebrannten Häusern geforscht. Zur zeitgeschichtlichen Archäologie gehören, wie Lucke im Interview erläutert, aktuelle Grabungen im ehemaligen Anti-Atom-Protestcamp „1004“ in Gorleben. Lucke erzählt, dass er 1980 selbst im Protestcamp gelebt und gegen Atommüll-Transporte demonstriert hat.